Achtsamkeit & Yoga
Der Aspekt der Achtsamkeit spielt seit jeher eine zentrale Rolle im Yoga. Bereits in den Yoga-Sutras von Patanjali , die zwischen 200 v. Chr. und 400 n. Chr. entstanden sind, lautet ein bekannter Vers:
„Yoga ist das Aufhören aller Bewegungen im Bewusstsein“
Achtsamkeit im Rahmen der Yoga-Praxis beinhaltet mehrere verschiedene Aspekte. Dabei ist der Begriff „Achtsamkeit“ mit dem von Iyengar häufig verwendeten Begriff „Gewahrsein“ (awareness) in etwa gleichzusetzen. Mit den folgenden Aspekten von Achtsamkeit während des Asana-Übens kann man sich einer Definition des Begriffs annähern:
- Im Laufe des Lebens werden viele Bewegungen und Körperhaltungen automatisiert und zur Gewohnheit. Dies hat zwar den Vorteil, dass automatisierte Handlungen Zeit sparen, in neuen Situation können diese Handlungen aber unpassend sein und es fällt zunehmend schwer, einen gewohnheitsmäßigen Ablauf zu ändern. Automatische Bewegungsmuster können dazu führen , dass wir unseren Körper nicht mehr in seiner natürlichen Form wahrnehmen, Gewebe im Körper verändert sich, das Gehirn reagiert weniger flexibel und es kann zu Einschränkungen in der Beweglichkeit kommen. Eine achtsame Übungspraxis, d.h. eine Lenkung der Aufmerksamkeit in der Yogapraxis, kann bei den Übenden dazu führen, dass sie sich der Bewegungsabläufe wieder mehr bewusst werden und diese kontrollieren können.
Außerdem beschreibt Achtsamkeit das Wahrnehmen des aktuellen Augenblicks im „Hier und Jetzt“. Das bedeutet, dass weder Aspekte der Zukunft noch der Vergangenheit unser Denken dominieren, sondern wir die Realität von „Augenblick zu Augenblick“ wahrnehmen.
- Zur achtsamen Übungspraxis gehört zudem die Etablierung eines inneren Beobachters. Oftmals sind wir es im Alltag gewohnt, jegliche Handlungen zu bewerten. Der innere Beobachter allerdings ist „wertneutral“, d.h. er beobachtet und gibt Rückmeldungen an uns ohne zubewerten. Dies kann sich sowohl auf Bewegungen, Gedanken als auch Emotionen beziehen. Dadurch können wir Selbstreflexion sowie Körper-Intelligenz erlernen. Da unsere Gedanken schwer zu lenken und zu kontrollieren sind, können die Gedanken mithilfe der Wahrnehmung und Reflexion während des Asana-Übens auf den Körper ausgerichtet werden. Folglich wird der Körper in den Vordergrund gestellt und die Gedanken können diesem folgen. Iyengar gibt hierzu die Anweisung: „Lassen Sie den Körper den Handelnden sein und dasGehirn den Beobachter“. Das selbe gilt auch für Emotionen – diese sollten wir ebenfalls wahrnehmen, beobachten und auf das Üben lenken.
- Das Prinzip der Achtsamkeit während der Asana-Praxis zielt weiterhin darauf ab, dass wir uns beim Üben von innen heraus spüren und die korrekten Ausrichtungen vornehmen können, ohne von außen auf den Körper zu schauen. Während bei Anfängern das Wahrnehmen „von außen“ noch öfter stattfinden kann, kann es mit zunehmender Erfahrung mehr und mehr vom Körperinneren ausgehend stattfinden.
- Ein weiterer Aspekt der Achtsamkeit ist die Ausführung der Asanas mit innerer Ruhe. Dadurch können Bewegungen und Gedanken sowie Emotionen verbunden werden. Während man als Anfänger oftmals noch nach einer Handlung diese analysiert, kann diese Reflektion im fortgeschrittenen Stadium auch bereits während der Handlung geschehen. So kann nach und nach innere Ruhe entstehen.
Achtsamkeit hat auch „praktische“ Bedeutung für die Asana-Praxis. Durch eine verfeinerte Körperwahrnehmung aufgrund achtsamer Übungspraxis können Korrekturen präziser umgesetzt werden und das Risiko für Verletzungen undSchmerzen nimmt dadurch ab.
Eine auf Achtsamkeit beruhende Methode aus der Verhaltenspsychologie ist MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction), die von Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde. Dieses Achtsamkeits-Training kann laut Studien zur Verringerung von Schmerzen sowie positiven Auswirkungen auf körperliches Befinden und genereller Lebensqualität führen. Achtsamkeit wird dabei definiert als „das Sich-einlassen auf den Moment – mit einem nichtwertendem Gewahrsein“ (MBSR-MBCT Verband e.V., 2017) und beinhaltet somit die obenstehenden Aspekte des inneren Beobachters sowie des Bewusstseins im Hier und Jetzt. Ziel des Programms ist es, zu lernen, „den eigenen Alltag mit all seinen Herausforderungen besser zu bewältigen“ (MBSR-MBCT Verband e.V., 2017). Die Übertragung der Achtsamkeit von einer Übungspraxis auf den Alltag kann uns dabei behilflich sein, auch abseits der Asana-Praxis den Yoga-Weg im Alltag weiterzuverfolgen. Bei jeder alltäglichen Handlung, z.B. beim Essen und beim Gehen, kann Achtsamkeit geübt und verinnerlicht werden.